Prof. Dr. Olivier Beaud

Universität Panthéon-Assas (Paris II), Paris, Frankreich

Curriculum Vitae

Prof. Dr. Olivier Beaud studierte Öffentliches Recht und Geschichte der Moderne an der Universität Panthéon-Sorbonne (Paris I). Für seine Doktorarbeit „Etat et souveraineté: Eléments pour une théorie de l’Etat [State and Sovereignty: Elements for a Theory of the State]“ wurde er mehrfach ausgezeichnet. Anschließend lehrte Prof. Dr. Beaud zunächst in Lille und anschließend in Paris an der Universität Panthéon-Assas (Paris II). Er war von 1995 bis1996 und von 2017 bis 2018 Mitglied der Jury für die Professuren des öffentlichen Rechts (jury du concours d’agrégation). Von 2001 bis 2006 war er stellvertretender Direktor des Centre Marc Bloch in Berlin und von 2007 bis 2019 Direktor des Michel-Villey-Instituts für Rechtskultur und Rechtsphilosophie.

Prof. Beaud war bereits für verschiedene Forschungsaufenthalte in Deutschland, unter anderem am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg und am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt a.M. sowie an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Konstanz. Außerdem war er für Forschungsaufenthalte an der Yale University und der University of California, Berkeley in den USA.

Er ist Autor mehrerer Bücher sowie einer großen Anzahl von Artikeln über die allgemeine Staatstheorie, Rechtstheorie und das Verfassungsrecht. Seine Forschung hat zudem eine rechtsvergleichende Ausrichtung mit Blick auf die französische und deutsche Rechtslehre.

Im Jahr 2014 wurde er mit dem Reimar Lüst-Preis der Humboldt-Stiftung ausgezeichnet und 2019 wurde ihm für sein Werk „La République injuriée“ der Prix du livre juridique verliehen.

Von März bis April 2020 war Prof. Dr. Olivier Beaud Fellow am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ in Bonn.

Forschungsprojekt

“The case for a legal theory of citizenship”

Obwohl die wissenschaftliche Literatur zur Staatsbürgerschaft in den Bereichen Politikwissenschaft und politische Philosophie sehr umfangreich ist, haben sich Juristen bislang von der Debatte ferngehalten. Es gibt kaum größere Studien zu diesem Thema, zumindest was die Staatsbürgerschaft im engeren Sinne betrifft, die wir hier untersuchen werden. In der Tat ist die Konzeption der Staatsbürgerschaft doppelt restriktiv, und es wird unsere Aufgabe sein, nach den Gründen dafür zu fragen.

Zunächst einmal muss die Staatsbürgerschaft von der Nationalität (Staatsangehörigkeit, nationalité) unterschieden werden, und zwar im juristischen Sinne des Begriffs, d.h. dem Begriff der Zugehörigkeit zu einem Staat. Ein "Staatsangehöriger" eines Staates ist ein "ressortissant" im Französischen, der die Staatsangehörigkeit seines Staates gemäß den von diesem Staat vorgegebenen Kriterien besitzt. Auch wenn die umfangreiche englischsprachige Literatur zum Thema Staatsbürgerschaft im Sinne von Nationalität berührt wird, wird sie nicht Gegenstand unserer Forschung sein. Weil diese Literatur unberücksichtigt bleiben wird, können wir mit Sicherheit behaupten, dass es derzeit kein größeres Werk über Staatsbürgerschaft gibt, das von einem Juristen geschrieben wurde, obwohl viel über die Nationalität geschrieben wurde.

Unsere zweite eingeschränkte Auffassung von Staatsbürgerschaft bedeutet, dass wir die dreigliedrige Einteilung, die Terence H. Marshall in seinem berühmten Artikel "Citizenship and social class" vorgenommen hat, nicht berücksichtigen werden, in der er drei Bedeutungen unterscheidet: bürgerlich, politisch und sozial. Auch wenn die "soziale Staatsbürgerschaft" eine Frage ist, die sich stellt, wenn man die Asymmetrie zwischen dem Staat betrachtet, in dem der Einzelne Rechte hat, und der zivilen, wirtschaftlichen und sozialen Sphäre, in der der Einzelne sogenannte "soziale Rechte" hat, die weniger wirksam sind, glauben wir weiterhin, dass es, um unser Thema richtig und vollständig zu behandeln, besser ist, die Staatsbürgerschaft auf ihre politische Bedeutung zu beschränken, was man als "klassische" Staatsbürgerschaft bezeichnen könnte.

Eine vorläufige Definition von Staatsbürgerschaft wird während des Forschungsaufenthaltes am Käte Hamburger Kolleg untersucht werden. Staatsbürgerschaft soll betrachtet werden als "der rechtliche Status, der hauptsächlich die politischen und bürgerlichen Rechte umfasst, die die Individuen in einer bestimmten politischen Entität genießen".  Diese Individuen sind in den Augen des Gesetzes Bürger, und die Gesamtzahl der Bürger umfasst das Volk im rechtlichen Sinne des Begriffs.

Wie im Titel dieses Forschungsprojekts angedeutet, geht es also darum, eine Rechtstheorie der Staatsbürgerschaft zu erarbeiten. In erster Linie handelt es sich um eine Theorie, ein Begriff, der im Bereich des Rechts, wo seine Verwendung etwas beunruhigend ist, immer seltener wird. Es geht also nicht darum, das positive Recht der Staatsbürgerschaft zu beschreiben, mit seinen verschiedenen Institutionen und Regeln (z.B. dem Wahlrecht). Vielmehr wird es darum gehen, das Konzept der Staatsbürgerschaft zu denken - oder zu überdenken -, ein Konzept, das als solches zentral erscheint, das aber auch entscheidend ist, um zu verstehen, was moderne politische Entitäten wirklich ausmacht. In der oben dargestellten Definition haben wir darauf Wert gelegt, dass die Staatsbürgerschaft ein Status ist, der von "einer bestimmten politischen Einheit" gewährt wird.  Dieser bewusst vage Ausdruck entspricht einem der wichtigsten Gedanken, der in unserer Forschung in den letzten zwanzig Jahren zum Ausdruck kam (vgl. "Des citoyennetés fédérative et impériale. Deux modes particuliers d'appartenance à la communauté politique " in O. Beaud, F. Saint-Bonnet (dir.), La citoyenneté comme appartenance à la communauté politique, Paris, Editions Panthéon-Assas, 2020 [im Erscheinen]). Der Grund, warum wir uns teilweise weigern, die Staatsbürgerschaft ausschließlich mit dem Staat, der allgegenwärtigen politischen Form, in Verbindung zu setzen, ist, dass der Staat mit zwei marginalen oder marginalisierten politischen Gebilden konkurriert: der Föderation und dem Imperium. Die hier vorgeschlagene Rechtstheorie der Staatsbürgerschaft fügt sich somit in ein weiterreichenderes Projekt ein, dessen Zweck die Verfassungstheorie der politischen Gebilde ist, zu denen sie als zugehörig betrachtet wird. Mit anderen Worten: Ebenso wie die Souveränität, ist die Staatsbürgerschaft eine der wesentlichen Kategorien des modernen öffentlichen Rechts. Nur ihre "Theorie" kann dies aufzeigen.

Außerdem sprechen wir von einer RECHTLICHEN Theorie der Staatsbürgerschaft. Dieses Adjektiv ist von entscheidender Natur. Denn gerade hier weichen wir von der ausgedehnten philosophischen Literatur in Europa und den Vereinigten Staaten ab, die notwendigerweise eine normative Auffassung von Staatsbürgerschaft hat. Es gibt viele sehr interessante Diskussionen zwischen Philosophen, die für liberale, kommunitaristisch-republikanische Staatsbürgerschaften plädieren. Wir haben bereits festgestellt, dass die politische Soziologie der Staatsbürgerschaft nicht Teil unseres Themas sein wird, auch wenn die Lektüre dieses Themas oft fruchtbar ist.

Publikationen (Auswahl)

Monographien

  • La puissance de l’Etat [The Power of the State], Paris, PUF, coll. Léviathan, 1994, 512 p. (a largely revised version of the doctoral thesis Etat et souveraineté: Eléments pour une théorie de l’Etat) [Italian translation: La potenza dello Stato, Naples, ESI, 2003, 602 p.]
  • Les derniers jours de Weimar. Carl Schmitt face à l’avènement du nazisme [The Last Days of Weimar: Carl Schmitt in front of the Advent of Nazism], Paris, Descartes & Cie, 1997, 254 p.
  • Le sang contaminé. Essai critique sur la criminalisation de la responsabilité des gouvernants [The Contaminated Blood: A Critical Essay on the Criminalisation of the Governors’ Responsibility], Paris, PUF, coll. Béhémoth, 1999, 172 p. (Wolowski Prize of the Academy of Moral and Political Sciences)
  • Théorie de la Fédération [Theory of the Federation], Paris, PUF, coll. Léviathan, 2007, 434 p., 2nd ed. (Unchanged edition, with the addition of two indexes), 2009, 448 p. [Spanish translation: Teoria de la Federacion, Madrid, Escolar, 2009, 441 p.]
  • Les libertés universitaires à l’abandon? Pour une reconnaissance pleine et entière de la liberté académique [Are the University Freedoms Being Abandoned? In Favour of a Full and Complete Recognition of Academic Freedom], Paris, Dalloz, 2010, 354 p.

Co-Autorenschaften

  • O. Beaud, A. Caillé, P. Encrenaz, M. Gauchet, F. Vatin, Refonder l’Université française. Pourquoi l’enseignement supérieur reste à reconstruire [Reorganisation of the French University: Why Superior Education Remains To Be Reconstructed], Paris, La Découverte, 2010, 272 p.

Herausgeberschaften

  • O. Beaud and P. Wachsmann eds., Science juridique française et science juridique allemande de 1870 à 1918 [French Legal Science and German Legal Science from 1870 to 1918], Annales de la faculté de droit de Strasbourg, Nouvelle Série, n°1, Presses universitaires de Strasbourg, 1997
  • O. Beaud and J.-M. Blanquer eds., La responsabilité des gouvernants [The Responsibility of Governors], Paris, Descartes & Cie, 1999
  • O. Beaud and E. Heyen eds., Une science juridique franco-allemande (Bilan critique et perspectives d’un dialogue culturel) [A Franco-German Legal Science (A Critical Assessment of A Cultural Dialogue)], Baden-Baden, Nomos, 1999
  • O. Beaud, A. Lechevalier, I. Pernice and S. Strudel eds., L’Europe en voie de Constitution. Pour un bilan critique des travaux de la Convention européenne [Europe in the Process of a Constitution: For a Critical Assessment of the Workings of the European Convention], Bruxelles, Bruylant, 2004, 856 p.
  • O. Beaud, C. Colliot-Thélène and O. Jouanjan eds., Droits de l’homme, Grundrechte, et Civil Rights, Proceedings of the Conference of 14-15 June 2002 organised by the Centre Marc Bloch of Berlin, Engel Verlag, Kehl in three issues of different reviews: Europäische  Grundrechte Zeitschrift November 2004, 31 Jg (Heft 20-21, pp. 597-619), Journal of Human Rights Journal, and Revue universelle des droits de l’homme, October 2004, Vol. 16, N° 1-4, 2004
  • O. Beaud and P. Pasquino eds., La controverse sur le gardien de la Constitution et la justice constitutionnelle. Kelsen contre Schmitt [The Controversy over the Guardian of the Constitution and Constitutional Justice: Kelsen versus Schmitt], Paris, Editions Panthéon-Assas, 2007, 220 p. [book in French and German]

Vorwort und weitere Bearbeitungen

  • « Carl Schmitt, un juriste engagé » [“Carl Schmitt, a Committed Jurist”], preface to Carl Schmitt, Théorie de la Constitution (French translation of Verfassungslehre),PUF, coll. Léviathan, 1993, pp. 3-119 [partly translated in Italian in Diritto e Cultura, 1995]
  • René Capitant, Ecrits d’entre-deux-guerres (1928-1940) [Writings from the Interwar Period (1928-1940)], Presses de l’Université de Panthéon-Assas, 2004, 580 p. (texts gathered and presented by O. Beaud)
  • René Capitant, Face au nazisme. Ecrits 1933-1938 [Facing Nazism: Writings 1933-1938], Presses de l’Université de Strasbourg, 2004, 286 p. (texts gathered and presented by O. Beaud, afterword by Ph. Burrin, notes established by S. Plyer)